Liebe Leserin, verehrter Leser,

      herzlichen Dank, dass Sie sich auf diese Seite eingelassen haben. Das zeugt von einer gewissen Menge an Mut und spricht für Sie. Langeweile mag ich nicht, also halte ich diese kurze Vorrede auch kurz(!).

      Vielleicht noch ein Kommentar meines Lektors: "Also sooo hätte ich das Buch nicht geschrieben, aber was solls - es passt zu Dir!"

Kommentare einiger Testleser: Von "Na ja, was soll ich sagen..." über "Habe schon schlechteren Lesestoff gehabt" bis "Prima!"

Trotzdem: Haben Sie viel Spass beim und am Lesen!

Ihr

Rolf O. Flach

Heilpraktiker

 

 

 

1. Auszug

Die Geburt selbst bezeichnet die junge Mutter später als  erstaunlich leicht. Arbeitete doch die Hebamme nach allen Regeln der überlieferten Heilkünste vorsorglich auf diese Geburt hin.

Im Hinausgehen nimmt die Weiße Frau den Herrn des Hauses noch dezent auf die Seite:

„Also, Paul, du hast jetzt deinen Erstgeborenen, herzlichen Glückwunsch!  Pass gut auf deine beiden auf.

So, und jetzt wird es wichtig. Hör gut zu: in den nächsten sechs Wochen lässt du die Finger von deiner Frau. Du siehst, was aus deiner fünf-Minuten-Aktion herausgekommen ist. Soweit, so sehr gut. Solltest du demnächst irgendwelche Gelüste spüren, dann stellst du dich im Schuppen in eine Ecke und machst das, was du als unverheirateter Kerl auch immer gemacht hast, wenn es dir danach war. Aber rühre deine Frau nicht an, bis ich sie untersucht habe. Ich komme regelmäßig zur Kontrolle. Was deine Frau zu tun hat, weiß sie, habe mit ihr lange genug gesprochen. Ich sah Kernseife im Haus auf der Fensterbank. Damit wäschst du dein Ding da unten, auch unter der Haut, die du ja, wie du weißt, leicht zurückziehen kannst. Du brauchst jetzt nicht knallrot zu werden, ich kenn das alles. Nichts Neues für mich. Ich kenne auch die Folgen von Unsauberkeit. Also hörst du gefälligst auf mich. Jeden Tag wird sich gewaschen, ob´s regnet oder schneit, gewöhn´ es Dir einfach an. Klar?“

Paul nickt verdattert mit hochrotem Kopf. Die Hebamme traf doch einen mehr oder minder wunden Punkt. „Da unten“ die Gegend ist ja sooo leicht zu vergessen. Die Frau setzt noch einen drauf:

„Und wenn es in dieser Region einmal ‚fischelt‘, also streng nach Fisch riecht, dann definitiv ff, Finger von. Erst waschen. Ist doch leicht, wenn man dafür ein paar Minuten später mit viel Spaß belohnt wird. So, das war´s auch schon, jetzt brauche ich einen Kaffee, der durchaus stark sein darf. Und - wo ist mein Frühstück?"

 

2.Auszug

Was passierte noch so in diesem Jahr 1850? Nicht viel; vielleicht wäre die Gründung der Spinnerei "Vorwärts " in Bielefeld erwähnenswert; oder, dass in Berlin der erste "Berliner Turnverein" gegründet wurde. Und wen juckt es schon, dass am 1. Januar  dieses Jahres D.-H. Druey Bundespräsident in der Schweiz wird. Interessanter ist da schon, dass sich kurz darauf der Schweizer Franken, in 100 Rappen eingeteilt, zur Einheitswährung mausert.

Solltest du Philatelist sein, ist vielleicht interessant, dass zum 1. Juni 1850 die Briefmarke in Österreich eingeführt und der berühmte "Sachsendreier" ausgegeben wird, die erste Briefmarke im Königreich Sachsen.

Unter der Leitung von Franz Liszt wird im August in Weimar die Oper "Lohengrin"  von Richard Wagner uraufgeführt und im Oktober in München die "Bavaria" enthüllt.

Auch die Geburt Ernst Schweningers ist zu vermelden, der später der Leibarzt von Bismarck wurde. Soviel bekannt ist, hat Bismarck ihn überlebt. Interessiert Sie das überhaupt?

Und letztendlich: Welch wichtige Person wurde noch im Juni 1850 geboren? Einmal  Pat Garrett, US-amerikanischer Sheriff im Lincoln County, der unter unrühmlichen Umständen in einem Streit von hinten erschossen wurde - aber vorher unter rühmlichen Umständen "Billy, the Kid" liquidierte. Nun ja, bei diesen ruhmreichen Umständen sind immer Leute umgekommen, nämlich die andere, die Verliererseite. Mein Freund und Philosoph Da Da Hum behauptet: Ruhm oder ruhmreich hat immer etwas mit Tod zu tun, ganz speziell, wenn Staaten, Länder, deren Regierungen und die jeweiligen Spitzen sich gegenseitig nicht leiden können.

 

 

3. Auszug

Bei der Musterung zur kaiserlichen Armee erlebt  Friedrich--Wilhelm einen Vorgang, sprich eine Prozedur, die er Zeit seines Lebens nicht vergessen wird. Auf dem Tanzboden des einzigen Gasthofes im Dorf stehen einige Tische mit weißen Tischdecken aneinander gereiht. Dahinter posieren auf unbequemen Stühlen sitzend ganz wichtig tuende und imponierende Kostüme, Entschuldigung – in Uniformen gehüllte, bolzengerade Mannsbilder mit Schnurrbärten, einer länger und gebogener als der andere, Kaiser-Wilhelm-Bärte also.

 

Auf die Frage eines ahnungslosen Witzbolds, ob dies ein „concours de moustache“ sei (doch, genauso hat der Nachfahre einer Hugenottenfamilie sich ausgedrückt! Er fand auf die Schnelle das Wort "Schnurrbart" nicht), schauen ihn die neben ihm stehenden Kameraden ungläubig an. Auch die wie aus dem Ei gepellten, hohen Herren hinter den Tischen blicken mit ihren leuchtenden Augen nicht wenig verdutzt. Der ahnungslose Witzbold darf selbstverständlich als erster hinter den Vorhang, zusammen mit einer kleineren Ausgabe der Langen Kerls: dem Stabsarzt.

 

Der Vorhang schließt sich, die noch vorhandenen weiteren fünf Kabinen bleiben vorerst leer.

Von außen hört sich der folgende Dialog so an:

„Ausziehen, Mann!!“

„Alles oder ganz?“

„AUSZIEHEN!!! Du Furz willst hier meutern?!“

„Sofort, jawohl, bin gleich soweit.“

„Hat man dich hier als Volksredner eingestellt?! Ein bisschen plötzlich, wenn ich bitten darf.“

Rascheln hinter dem Vorhang.

"Mann, hast du dich im Misthaufen gewälzt? Du stinkst gottserbärmlich. Zieh die Schuhe wieder an und den Rest endlich aus!"

„Jaaa, hab´s doch schon.“

„Maul halten und Mund auf!“

„Äh???“

„MACH´S MAUL AUF, DU KNALLKOPP!!!“

(Klapsgeräusch aus der Gegend hinter dem Vorhang).

„Na also, geht doch. MANN, wann hast DU denn das letzte Mal die Zähne geputzt, du Oberferkel! Noch nie an der Front gewesen und stinkt jetzt schon nach Verwesung! Mach die Klappe zu, sonst laufen noch die Ratten aus dem Dorf!“

(Deutliches Plopp-Geräusch hinter dem Vorhang).

„ZUM TEUFEL! WIESO STEHT DIE HOSE NOCH AM LEIB, DU ROHR-KREPIERER! Hosenträger seitlich und Hose runter und Hemd hoch!“

(Kurze Pause)

„Ich fass´ es nicht, das HEMD hoch, nicht die HÄNDE!“

(Textilgeräusche hinter dem Vorhang, sehr hastig).

„Geht doch. Und jetzt: Tief einatmen!“

(Leises Windbrisen-Geräusch hinter dem Vorhang)

„Die Schwindsucht hat er nicht, der Kerl. In Ordnung. Und jetzt: Umdrehen und Bücken!“

(Kein Geräusch aus der Gegend des Vorhangs).

„Na sowas, haben wir hier einen Rekruten mit der Intelligenz einer Bachforelle? Kennt er das Wort BÜCKEN nicht?“

(Null Geräusch!).

„MACH ER KEINE GLUPSCHAUGEN!! UMDREHEN UND BÜCKEN HABICHGESAGT!!!“

(Hinter dem Vorhang ist es sekundenlang mucksmäuschenstill, gefolgt von einem plötzlichen…).

„WOUHOWOHUHU!“

des Kandidaten.

„Bestens! Außer Hämorrhoiden keine Vorkommnisse! Der Kerl ist  k.v.! DER NÄCHSTE !!!“

 

Wahrscheinlich ist für alle Kandidaten dieses einschneidende Erlebnis der Grund, weshalb die nachfolgende Musterung ungeheuer schnell und ohne jede weitere Komplikation abläuft. Und alle k.v. (Für die Nicht-Kriegsteilnehmer: "k.v." bedeutet "kriegsdienstverwendungsfähig").

Bald ist auch dem letzten Dorfbewohner aus dem hintersten Winkel des Reiches klar, dass sich etwas tut – jeder, der auch nur eine Mistgabel halten kann, wird gemustert. In verschiedenen Zeitungen und natürlich auch in der „Gartenlaube“ liest man Erstaunliches über funkelnagelneue Kriegs-erfindungen:

 

Den Kanonieren des neuzehnten Jahrhunderts steht eine Freude bevor; es wird eine Brandkugel zusammengestellt, die an Tödlichkeit das Vorzüglichste leistet. Das Ding darf füglich ein „Mordspudding“ genannt werden; es ist mit Todessplittern förmlich gespickt. Diese neue Kanonenkugel hat die Bestimmung, in eine dichte Heeresmasse geworfen zu werden. Dort platzt das gräuliche Projektil und wirtschaftet wie die Pest; denn es können hunderte von Soldatenleben zugleich damit ausgelöscht werden. Krupp in Essen hat sofort die Komposition dem Erfinder abgekauft.“

 

4. Auszug

Ein Beispiel:

Onkel Hermann feiert seinen 80. Geburtstag damals im Februar bei minus zwanzig Grad, und zwar in der einzigen Gartenecke, die etwas geschützt ist vor Wind und Regen. Zu dieser Jahreszeit bedeutet das natürlich Sturm und Schnee. Das Wetter kann man sich nicht aussuchen. Aber 80. Geburtstag bleibt 80. Geburtstag. Also wird dieser Tag gefeiert. Auf das Wetter wird keine Rücksicht genommen – das Wetter nimmt schließlich auch keine Rücksicht auf die Feiernden.

Die Westseite besagter Gartenecke schließt eine dichte Buchenhecke von gut drei Metern Höhe  und anderthalb Metern Dicke ab.  Und vom Ziegenstall bis zu Nachbars  zwei Meter hohen Stützmauer geht man mindestens zehn Schritte. Im Sommer bieten dichte Weinranken einen luftigen Sonnenschutz, im Winter ist es nur luftig, mindestens. Zum Feiern ist dieses Örtchen zu allen Jahreszeiten bestens geeignet, zumal auch das Stille in Sichtweite der Ecke haust.

Tante Martha war damals ziemlich krank, so kann das Schlafzimmer nicht leergeräumt und mit dem Wohnzimmer verbunden werden. Das dient dann zur Vorbereitung aller vorgesehenen Speisen und Getränke.

Es geht schon kurz nach der einbrechenden Dämmerung des 15. Februars hoch her - wie man im Volksmund sagt. Es verspricht eine großartige Feier zu werden, von der man noch in der übernächsten Generation sprechen wird.

"Es gibt kein schlechtes Wetter!" hat Vetter Erich entdeckt, "es gibt nur schlecht angezogene Leute!"

Als dann zu sehr vorgerückter Stunde der Schneesturm das Bier und den Schnaps in den Gläsern doch zu sehr verdünnt, übersiedelt man in die Waschküche, wo die Feier erst in den frühen Morgenstunden endet. Die wenigsten steigen ins Bett, man geht gleich weiter zur Arbeit oder füttert das Vieh. Wer feiern kann, der kann auch arbeiten - und umgekehrt.

Erst zum Mittagessen wird Opa Herrmann vermisst. Das ganze Haus wird auf den Kopf gestellt, vom Dachboden angefangen (wo man zwei verloren geglaubte Sensen und Sicheln und einen verwesten Uhu entdeckt) bis in den Keller (wo das Jungvolk zufällig einen zweiten Apfelweinballon findet und gleich eine herzhafte Probe nimmt).

Opa Herrmann ist nicht zu finden.

Bei leichtem Schneetreiben stapfen die Neffen durch fast kniehohen Pulverschnee zur Nachbarschaft - umsonst; Opa Herrmann bleibt spurlos verschwunden. Der Base Konradine sickert die blendende Idee, den Dorfgendarmen zu informieren und zu animieren, eine aus Gendarmerie und Kaiserlichen Artillerie bestehende Suchaktion zu starten. Die Blicke der restlichen Verwandtschaft veranlassen sie, ein "Ich sag´ ja bloß!" nachzureichen.

Aber nachmittags, als Tante Gerda sich stiekum in eine Ecke des verschneiten Gartens verziehen will (das Plumpsklo ist ja laufend besetzt - siehe die gestrige Geburtstagsfeier), entdeckt sie zufällig Opa Herrmann. Er sitzt immer noch in gemütlicher Lage am Gartentisch - stocksteif gefroren! Zwanzig Zentimeter Neuschnee auf der Kappe, auf den Schultern Schnee bis an die Ohren und  die erloschene Pfeife friedvoll in der linken Hand. Seine Augen halbgeöffnet in sehr weite Fernen gerichtet, steht ein zufriedenes Lächeln in seinem Gesicht,  auch gefroren, aber jeder kann es gut erkennen.

Er verließ diese Welt in einem idealen Zustand und in einem idealen Moment. Nur die etwas kritische und rechthaberische Tante Marianne fragt aufdringlich, ob man denn so besoffen gewesen sei, dass man Opa Herrmann einfach in der schneeumtosten Gartenecke übersehen und vergessen habe? Aber die ist nur neidisch, weil sie nicht eingeladen war. Wer schüttet schon freiwillig Essig in den Kuchen, oder?!

 

5.Auszug

Die Jahrhundertwende in das Zwanzigste wird im Dorf groß gefeiert. Der Kaiser hält eine seiner glorreichen Reden, die dann im ganzen Reich verkündet wird. Die wenigsten wissen, dass der Gute diese Reden meist in seiner geliebten französischen Sprache hält. Meistens jedenfalls, und auch nur schriftlich. Und wie das so ist bei den Übersetzern, man übersetzt eher sehr frei, nachgewiesen an folgendem Beispiel:

 

Kaiser, zu seinem Haus- und Hof-Adjutanten:

"Gebe Er folgende Order weiter ans Militär: Der Hofastronom Dr. von Zitzewitz hat festgestellt, dass am 28. Mai eine totale Sonnenfinsternis stattfinden wird.  Für dieses Erlebnis hat die Wach-Kompanie vollzählig anzutreten und dem Schauspiel beizuwohnen. Bei Regen finden die Erklärungen in der Kantine statt."

Der Adjudant übersetzt und gibt die Order weiter:

„Herrschaften! Der Kaiser will, dass ihr nachfolgende Order genau befolgt: Der Hofastronom Zitzewitz wird am 28. Mai eine Erklärung in der Kantine abgeben, das Schauspiel eines Regens findet bei Sonnenfinsternis statt, zu dem die Kompanie vollzählig anzutreten hat."

Über den weiteren Dienstweg kommt die Order auch bei der Kompanie an:

„Leute, der Alte hat mal wieder gesoffen und wir sollen jetzt folgendes tun: Der Kaiser hat den Hofastronomen Schauspiel zum Zitzewitz erklärt. Die gesamte Kompanie hat in der Kantine am 82. Mai dieses neuen Jahrhunderts vollzählig anzutreten, wo eine Sonnenfinsternis mit  Regen und einem Erlebnis stattfinden wird."

Schlussendlich landet der Befehl in der Wachstube:

„Kameraden! Kaiser Zitzewitz will mit dem Hofastronomen Schauspiel in der 82. Kantine ein Erlebnis haben. Dem soll die ganze Kompanie beiwohnen. Eine Erklärung wird nur bei Regen stattfinden. Die folgende  totale Sonnenfinsternis wird in der Kantine  stattfinden  und dann festgestellt.“

 

So sind schon Kriege entstanden, nicht wahr?!

 

6. Auszug

Vor einigen Jahren hat ein Bauernbursche am Tag seiner Hochzeit ganz in der Frühe noch schnell eine Ziege schlachten wollen. Es mag an der Junggesellenabschiedsfeier (die es in der einen oder anderen Tradition damals auch schon gab) oder am Polter-Abend vorher gelegen haben, dass er den richtigen Durchblick nicht hatte. Jedenfalls ließ der Bursche, als er die Ziege fangen und aus dem Stall geleiten wollte, nicht wirklich Vorsicht walten. Als man ihn kurz darauf fand, war zweierlei passiert:

 

Erstens gingen alle Ziegen aus dem Stall stiften  und man hat nicht alle wieder gefunden.

Zweitens entpuppte sich die unfreundliche Ziege als aggressiver Ziegenbock, der sich mit seinen zwei spitzen Hörnern im Gemächt und den weiten Hosen des armen Bräutigams verfangen hatte. Durch das Herumtoben erlitt das arme  Tier einen Herzschlag.

Der eiligst herbei gerufene Dorfbader kümmerte sich zunächst um den Ziegenbock, konstatierte dessen Tod und wendete sich dann dem jungen Mann zu. Die weite Hose hatte man inzwischen entfernt. Den nunmehr entblößten Unterleib des Hochzeiters begutachtete der Bader eingehend. Es war ziemlich viel Blut zu sehen. Dann kommentierte der Fachmann:

"Das sieht aus wie im letzten Krieg, wo dem Adomeit aus Königsberg einige Granatsplitter sein Spielzeug durcheinander gebracht hatten. Mal sehen, was wir machen. Hol mal einer eine Flasche Schnaps."

Die tauchte so plötzlich auf, dass der Bader selbst erstaunt war. Er zeigte sich aber absolut erfreut über die Schnelligkeit:

"Na, dann wollemermal."

Er nahm die fast noch volle Flasche Kartoffelschnaps und dann einen gehörigen Zug. Seine Zunge fuhr genießerisch über die Lippen. Dann kippte er die Flasche und goss sich eine reichliche Portion der Flüssigkeit über die Hände, die er kräftig rieb. Nachdem diese trocken waren, goss er ein zweites Mal einen Schwall darüber. Wieder rieb er die Handflächen trocken. Anschließend bückte er sich zum Ziegenbockgeschädigten und tastete dessen Unterleib sanft und sorgfälig ab, hob einen Hautlappen an, schob ein Stück Fleisch zur Seite und hielt dann einen der Hoden in der Hand. Das halbe Dorf war anwesend und wollte doch wissen, was da vor sich ging. Nach der Inspektion des Hodens zählte man nur noch die Hälfte der Hälfte der Neugierigen. Die Zartbesaiteten waren verschwunden - aus der nahen Ferne hörte man Würgegeräusche.

"Alsdann," befahl der Bader, "Man hole mir Nadel, Zwirn und Schere, alles im Schnaps eingelegt und gut bedeckt."

Die Utensilien brachte man erstaunlich schnell zum Ort des Unglücks. Gekonnt zwirbelte der Bader Nadel und Faden zusammen, nachdem er beides kräftig im Alkohol geschwenkt hatte, und beließ alles in einer kleinen Salatschüssel. Schnell noch einen Knoten ins Fadenende, damit der Zwirn nicht durchrutschen konnte. Der junge Mann entschloss sich, die Prozedur nicht wahrnehmen zu wollen und verdrehte die Augen.

"Prima, jetzt isser weg. Der merkt von nix mehr. Wir legen nun los." befahl sich der ehemalige Kriegsteilnehmer wie im Lazarett damals. Beim "wir" war man ja immerhin zu zweit: ich und ich.

Zuerst goss er reichlich Schnaps auf die sichtbaren Wunden. Dann begutachtete er den Riss im Hoden, im Schritt und zog und drückte das "gute Stück" des zukünftigen Ehemanns. Die Zuschauermenge hatte sich nun auf etwa ein Achtel der anfänglichen Zahl verringert, manche hatten den Schauplatz mit käseweißem Gesicht verlassen.

Der Bader verstand sein Handwerk. Krieg macht hart und wissend, hatte er einmal beim Bier verkündet. Er ordnete die Wunden, immer mit einem Schuss Schnaps darüber, nahm die beiden Hautfalten des Hodens zwischen zwei Finger und goss etwa ein Schnapsglas voll in den Sack, um dann den freiliegenden Hoden wieder dort zu platzieren, wo er hingehörte – mit einem gehörigen Schuss aus der Flasche natürlich. Als nächstes griff er nach Nadel und Faden in der kleinen Schüssel und nähte fachgerecht die Hautlappen des Hodens zusammen. Die Wunden waren ebenso schnell versorgt und mit Verbandsmaterial abgedeckt und festgebunden.

Den letzten, kleinen Schluck aus der Flasche genehmigte sich der Bader mit Genuss. Niemand hatte etwas dagegen.

"Das war ja fast wie auf dem Verbandsplatz damals. Nur nicht so laut. Herrschaften, hat mich sehr gefreut!" war sein letzter Kommentar, dann verschwand er in Richtung seines Hauses.

Das war eine Aufregung damals. Die Hochzeit wurde auf Geheiß des Schwiegervaters trotzdem gehalten. Man musste den Bräutigam allerdings führen, weil er alleine so breitbeinig nicht laufen konnte.

Die Hochzeitsnacht fand in aller Stille statt.

 

7. Auszug

Man(n) (oder auch Frau) nimmt eine ganze Vanilleschote und schneidet sie in kleine Stückchen (1/2 cm Länge reicht). Zusammen mit 2,5 bis 3,0 Gramm vom besten Zimt (unverschnitten!) wird beides in eine sehr gute Flasche Rotwein gegeben – möglichst nicht über 12,5 Vol.%. Das läßt man etwa eine Woche ziehen (nicht an der Sonne). Ausprobieren lohnt sich. Allerdings ist nie wirklich geklärt worden, was wirkt – der Rotwein oder die Zutaten.

 

Das gilt auch für den "Liebestrunk der Mayas" oder für das "Sympathie-Säckchen" oder das "Mann-bleib-fit-Gewürz", dessen Zusammensetzung einem Mann durchaus die Tränen in die Augen treiben kann.

 

Wenn wir schon bei den Rezepturen sind (aus heutiger Sicht leicht verändert!):

 

A.   Für den „Liebestrunk der Mayas“ nimmt man zwei Vanilleschoten und gibt sie in einen Liter Milch. Kurz vor dem Sieden (die Milch dampft schon) werden vier Eßlöffel echter Kakao hinzugefügt (bloß keine industriell hergestellte Zuckermixtur mit Kakaogeschmack, die versaut einem den ganzen Spaß und man wird eher faul!). Ist das Kakaopulver in der heißen Milch ohne Klümpchen gut verrührt, sollte der Topf vom Feuer genommen werden.  Etwas abkühlen lassen, bis die Flüssigeit die Zunge fast nicht mehr verbrennt. Dann erst süßen: Je nach Geschmack und Befinden kommen zwei Eßlöffel vom besten Bienenhonig dazu.  Das kann noch durch die Beimischung einer Portion Bienenköniginnen-Futter verfeinert werden – direkt vom Imker versteht sich. Das ist zwar recht teuer,es lohnt sich aber, wenn man dem Honig eine geringe Menge beimischt. Vorsicht: Honig und Weiselfuttersaft (Gelée Royale) dürfen nur bei mundgerechter Temperatur dem Liebestrunk beigemischt werden, sonst verabschieden sich die wichtigen Pheromone.  Schlußendlich darf auch eine nette Prise oder auch zwei – wer´s  h e i ß mag – echten Cayenne-Pfeffers (notfalls auch Chili-Pulver) hinzugefügt werden. Wenn Sie ein Spezialist sind, dürfen Sie noch einen draufsetzen: eine „mundvoll“ Rum in das Gebräu. Der geschmacklich beste kommt aus Cuba.

 

B.   Für die Mischung „Mann-bleib-fit-Gewürz“ gehen die Möglichkeiten ins Unendliche. Aber als Basis gegen alle Eventualitäten seien eine Handvoll Nahrungsmittel und Kräuter genannt:

Süße Mandeln, Haselnüsse, Hafer (ihn sticht der Hafer!), Feigen, Honig, Trüffel (überhaupt viele Pilze, zur Sicherheit werden hier aber keine genannt. Es gibt hochwirksame, aber auch sehr giftige! Fragen Sie Ihren Druiden, Bader oder Drogisten), Zwiebeln, Knoblauch, Kresse, Spargel, Porree, Sellerie, Rettich, Rüben und Senfsamen, auch Pistazien werden gelobt. Hopfensprossen werden in der Steiermark als Salat gegen Unfruchtbarkeit gegessen.

An Gewürzen werden gegen männliches Unvermögen vor allem Liebstöckel* Vanille, Anis, Nelken, Pfeffer, Zimt, Ingwer, Muskat und Koriander empfohlen. Es gibt natürlich noch eine Menge anderer, eher exotischer Gewürze. Auf die wird hier nicht näher eingegangen, die „einheimischen“ Zutaten genügen vollauf.

 

Sollte also die Dame des Hauses einmal nicht wirklich zufriedenzustellen sein, so backe sie sich und ihrem Angebeteten einen „Leinsamenkuchen“ mit Fenchel-, Sonnenblumen- und Hanfsamen, mit Pfeffer und Honig gemischt, dazu noch kleingehacktes Bohnenkraut, Sellerieblätter, Liebstöckel* und Brenneselsamen. Je nach Geschmack die oben angegebenen Gewürze anfangs etwas vorsichtiger benutzen; zu viele Leibesübungen können merkwürdig anstrengend sein. Hier und in diesem besonderen Fall ist es umgedreht: Der Kopf will nicht mehr so richtig, das Fleisch …. aber HALLO!

 

* auch Maggikraut genannt (wollte hier aber keine Werbung für Nestlé machen!)

 

Den Gipfel der Ratschläge für unbedarfte Ratsuchende findet man in Mildas Einträgen unter der Rubrik "Keine Lust auf Mann", die Quelle dürfte wieder einmal die "Gartenlaube" gewesen sein.

 

Originaltext: "Eine Frauensperson, welche sich des ehelichen Beischlafes verweigert wegen unzureichender Manneskraft des Ehegatten mit daraus folgender seelischer Fehlharmonie, oder unzureichender Anteilnahme bei selbigem Vorgange, sei ein probates Mittel anheim gestellt: Sie frage bei der nächstgelegenen Brauerei nach den dort einstehenden Gäulen, welche zum Ausfahren der Bierfässer gebrauchet werden. Darauf begleite sie die Fuhre auf dem Rücken des Tieres, welches den breitesten Rücken zeitigt, in leicht vorgebeugter Haltung. Beschwerden durch Haltungsfehler werden also vorgebeugt."

Nun ja, was halten Sie davon?

 

Bis Mitte der 30er Jahre des vergangenen Jahrhunderts kommen so doch über siebenhundert Tipps, Ratschläge, Hinweise und Anweisungen zusammen.

 

 

8. Auszug

Ein ganz ein lieber Kerl ist der Otto. Trotz oder gerade wegen seiner 198 cm Körperlänge, die steht so in seinem Soldbuch, strahlt er eine enorme Ruhe aus. Es ist Milda`s erste ernste Bekanntschaft und Liebe – und dabei wird es auch bleiben. Davon später mehr. Es ist der 16. Mai 1935

Aus Mildas Tagebuch-Kalender:

 

Donnerstag, 16.Mai: Habe ihn wiedergetroffen. Mir ist fast schlecht geworden. Ist mit seiner Truppe direkt an unserem Haus vorbei marschiert (mit kl. Zwischenfall! War lustig). War das Zufall?

 

Samstag, 18.Mai: Ein unerwartet schöner Abend. Mit Gefr. Fl. im Theater gewesen. Weiß nicht mehr, was gespielt wurde, war zu aufgeregt. Gefreiter ist er schon lange nicht mehr, hat ziemlich Lametta auf der Ausgehuniform.

 

Sonntag, den 19 Mai: Ein gemütlicher Nachmittag mit Gefr. Fl. und Gretel im Kaffee Hoelters. Abends zum Thannhäuser.

 

Freitag 24.Mai: Herr Hofmanns Geburtstag (Außendienstler der Firma), Mit Gretel abends  in der Stadt gewesen. Schönen Fackelzug gesehen „Die Saar kehrt heim“.

Anschl. Großer Zapfenstreich.

 

Samstag, 25. Mai: Heute im Gambrinus „Fassenacht“ gefeiert. War mit Fl. da. Komisch war es schon, aber sehr schön mit Ott!“.

 

In ihrem Kalender lässt Milda erstmals den Gefr. weg. Jetzt ist sie schon beim Fl., und seit Samstag, den 25. Mai, bei „Ott“ - welch  ein Fortschritt!

In den nächsten Wochen und Monaten dreht sich alles um Ausgang, keinen Ausgang (aber nur, wenn Chef und Chefin wirklich nicht anwesend sind), Abendspaziergänge mit Otto, Maja, Gretel (deren Mutter kürzlich nach einer schweren Infektion gestorben ist), und immer wieder Fl., der nun endlich den Status „Ott“ erreicht hat. Den Namen wird er auch behalten.

Die Zeit fließt unter immer den gleichen Gegebenheiten dahin wie ein ruhiger Fluss und kümmert sich nicht um Nebensächlichkeiten wie das Menschliche. Die Zeit ist nach neuerer Forschung sogar relativ! Das verstehe, wer will oder kann.

Milda lernt endlich auch Almas Ziehmutter, Tante Hulda, kennen, die mittlerweile sehr betagt ist, aber es sich nicht nehmen lässt, mit dem Stahlross – wie sie es nennt – zu fahren. Die Eisenbahn ist für Tante Hulda die Erfindung des Jahrhunderts. Rüstig wie sie nun einmal ist, reist sie quer durchs Reich und besucht die Verwandtschaft.  Es gibt schließlich genug davon. Jeder kommt dran.

 

 

9. Auszug

Eines Tages steigt eine „höhere“ junge Dame, so um die Anfang Zwanzig, in Gießen in den Zug nach Gelnhausen. Natürlich nicht in die 3. Klasse (auch Holzklasse genannt), sondern in die Erste. Die Dame ist in der Tat etwas Besseres. Die Ausstattung des Coupés, wie man das Abteil nennt, ist für die Zeit sehr fortschrittlich und komfortabel. Die Sitze sind gepolstert, die dicken Holzbohlen des Fußbodens sind mit einer Mischung aus Buchen- und Zedernöl eingelassen, die Fensterscheiben  mit geblümten Gardinen eingerahmt. Hübsch sieht das aus. Und am Ende des Wagons gibt es sogar einen Abort – klein, aber für die entsprechenden Geschäfte ausreichend. Ein gusseisernes Fallrohr gewährt auf einfache Weise die Entsorgung und sorgt immer für frische Luft – mehr oder weniger.

Eines fällt wirklich auf:

Zu dieser Zeit wachsen die schönsten Blumen und Kräuterpflanzen auf den Bahndämmen und zwischen den Schienen. Brauchte man einen dicken Blumenstrauß, so wußte jeder, wo man erfolgreich pflücken konnte.

 

Mit einem deutlichen Ruck fährt die Lokomotive los. Schon nach kurzer Zeit fährt der Zug schneller als ein normaler Mensch laufen kann. Phantastisch! Beim Überqueren der Frankfurter Straße hört man noch das Bim-Bim-Bim der Glocke vor dem Häuschen des Schrankenwärters. Stolz steht der vor den Schranken und salutiert dem Zugführer zu. In einer langgezogenen Rechtskurve zockelt die Bahn am späteren Faber-Haus vorbei, fährt einige Zeit fast parallel den Schiffenberger Weg entlang bis zum ersten Halt: Erdkauter Weg. Hier steigt ein nobel gekleideter Herr ins Abteil (oder Coupé, wie Sie wollen). Während sich in der Holzklasse die Abteile füllen und eine Bombenstimmung die zunehmende Enge erträglicher macht, herrscht eine wohltuende Ruhe im Coupé der besseren Gäste (na also!). Der neue Fahrgast setzt einen kleinen Reisekoffer neben die mit einer riesigen Schleife verzierten Hutschachtel der jungen Dame und stellt sich vor:

„Ich wünsch einen wunderschönen guden Dach, Gnädigste, Sie gestadde doch…“

„Aber freilich, machen Sie es sich doch bequem.“

„Danke, sehr freundlisch, is immer widder schön, nedde Leude zu treffe, gelle!“

„Aber ja, auf einer längeren Reise ist eine angenehme Begleitung sehr agreabel.“

„Äh, ja, das isses ganz bestimmt. Wenn isch misch vorstellen darf: mein Name is Egon Wetzstein, wie de Wetzstein vonn de Sense, haha, und komm von de Großmetzgerei Wetzstein in Großelinne (Großen-Linden). Mir beliefern alle bessere Hotels unn fast die gesamte Gastronomie in de Umgebung.“

„Angenehm, Herr Wetzstein, mein Name ist Fräulein Gertrude vom Gleiberg.“

„Auch sehr angenehm, Fräulein vom Gleiberg. Wenn isch frache darf: wie weit geht denn die Reise? Isch fahr bis zur Endstation nach Gelnhausen, will emal sehn, ob sich da e Niederlassung lohnt.“

„Nun, meine Reise geht in Bleichenbach zu Ende, will dort eine Cousine in Rohrbach besuchen.“

„Das is awwer nett von Ihne.“

Der Zug ruckt wieder an, man hat inzwischen die Station Watzenborn-Steinberg erreicht und schon wieder verlassen. Die Fahrt führt durch dichte Buchenwälder weiter in Richtung Lich. Das Gespräch geht auf höchstem Niveau weiter:

„Toll, Herr Wetzstein, Sie strotzen ja vor Enthusiasmus und Tatendrang, aus Ihnen wird einmal ein ganz großer Geschäfts-mann!“

„Ganz rischdisch, Frollein, mir liesche die Geschäfte besser als des metzgern, isch weiß schon bald net mehr, wie mer e Sau dodmacht.“

„Mein Gott, wie aufregend, Sie sind ja richtig unternehmungslustig.“

 

Er erzählt von den Anfängen der Metzgerei, wo sein Vater noch durch die Dörfer gezogen ist und bei den Bauern um jede einzelne Sau gebettelt hat. Heute bringen die Leute die Tiere zur Metzgerei, weil sie auch gute Preise zahlt. Manchmal stehen die Fuhrwerke und Gespanne der Bauern bis an die Dorfgrenze. Man hat sogar auf einem Acker einen extra Pferch gebaut, damit die Wartezeiten nicht so lange dauern. Und ein Wirtshaus hat auch in der Nähe aufgemacht, damit der Durst nicht zu arg wird und die Wartezeit nicht zu lang. Alles zur Zufriedenheit aller.

Sie erzählt von ihrer Cousine, die angeblich die Schwindsucht haben soll, und die sie ein wenig unterstützen will im Haushalt.

So vergeht die Zeit wie im Fluge, man lacht und unterhält sich angeregt. Der Herr Wetzstein holt aus seinem Köfferchen eine Aale Worscht heraus, das Fräulein steuert einen selbstgemachten Kirschlikör bei. Die Mischung ist eigenartig, macht aber lustig. Man vergisst Zeit und vor allem Ort und schwelgt.

 

Plötzlich springt der Wetzstein mit rotem Kopf auf und verkündet:

„So, Frolleinschje, jedz hammer genuch geflirrt, jedz wädd gepimpert!!“

Das „Frolleinschje“ guckt verdattert mit mittlerweile tomatenrotem Kopf und er knöpft sich die Hose weit  auf. Gleichzeitig geht noch etwas auf: die Coupétür. Man hat im Eifer der Konversation nicht bemerkt, dass der Zug die nächste Station, nämlich Lich, erreicht hat.

Ein Oberstleutnant der kaiserlichen Armee verharrt auf dem zweiten Trittbrett, sieht die Pracht des Gemächts des Herrn Wetzstein vor dem nunmehr extrableichen Gesicht einer jungen Dame und nimmt ihn umgehend „im Namen des Kaisers“ fest. Auf dem Bahnsteigt will er ihn dann auch gleich standrechtlich erschießen – auch im Namen des Kaisers – aber der Bahnhofsvorsteher argumentiert, dass das Bahngelände immerhin zur Königlich-Hessisch-Preußischen Bahn gehört und damit die Bahn für das Erschießen zuständig sei. Der Oberstleutnant will keinen Konflikt zwischen Bahn und Armee aufkommen lassen. Wer weiß, wer dann bei den Gewinnern ist. Er bietet dem Vorsteher spontan seine Waffe an.

Alles Weitere wird dann ganz einfach durch die Ehefrau des Bahnhofsvorstehers gelöst, welche die Situation, um die Ecke kommend, sehr schnell erfasst hat und lauthals bestimmt:

„Kall, komm sofodd heim, des Esse is fäddisch!“

 

 

10. und letzter Auszug

Ach ja, gehen wir doch noch einmal ganz an den Anfang der kleinen Geschichte zurück, wo Heinrich Nummer 3 so angestrengt das kleine Gehölz am Hang beobachtet hat, im Glauben, etwas gesehen zu haben. Er sah etwas wirklich nur ganz kurz, erkannte aber nichts, wie gesagt, es war zu kurz.

Knapp unterhalb des Wäldchens, in einer leichten Senke, wo Gras und Blumen besonders dicht stehen, treffen sich an diesem Nachmittag der Dorfschullehrer Altmann und Fräulein Backhaus erstmals zu einem absolut geheimen Stelldichein. Die junge Dame hat einen selbstgeflochtenen Weidenkorb in ein Picknick-Arrangement umgewandelt: Teller, Messer, Gabeln, zwei unterschiedliche Gläser, Mundtücher – alles in doppelter Ausführung. Einen halben Laib Brot, ein Stück kalter Braten lugt über den Rand des Korbes, daneben ein respektabler Blunsen. Die Hessen wissen schon, was das ist: Nämlich „guuuud“. Kleine Zwiebeln, Radieschen, Salz- und Pfefferstreuer runden die Sache fast ab. In einem feuchten Tuch eingewickelt kommt aus den Tiefen noch eine Flasche Riesling aus Herxheim hervor, daran verschämt  mit einer Schnur befestigt, ein winziges Fläschchen Rosenlikörs. Der Lehrer ist hell begeistert und findet ein Kompliment nach dem anderen. Dem gut gekühlten Wein spricht er herzhaft zu, das gar nicht mehr so schüchterne Fräulein auch dem Rosenlikör. Man unterhält sich, scherzt und lacht und die Sonne knallt von oben herab. Es ist heiß. Er entledigt sich, mit ihrer Erlaubnis, seiner Jacke.Sie hebt ein wenig den Saum ihres Kleides. Er meint, dass barfußlaufen gesund sei und zieht seine Schuhe und die Socken aus. Eher in Gedanken, da ist keine böse Absicht dahinter, befreit sie zwei Knöpfe ihrer bunten Bluse von den selbigen Löchern.

Des Lehrers Blicke sinken automatisch vom Mund, der noch nachdenklich auf einem Stück Blunsen herum kaut, auf die nunmehr frei gewordene höchst interessante, gut behügelte Hautoberfläche. Davon kommt er nicht mehr los. Zu lange hat er sich nicht mehr in einer solch herrlich intimen Situation befunden – hat er sich überhaupt schon einmal...? An seinem Stottern bemerkt die junge Dame erst, was sie angerichtet hat. Na, dieser Lauser, der traut sich was.

Sie seufzt gekonnt und rutscht etwas näher an seine Seite. Dann liegen sie sich in den Armen und hören mit dem Küssen und Kosen gar nicht mehr auf. Das muss angeboren sein, denn es funktioniert auf Anhieb – mehr oder weniger jedenfalls. Den Beiden wird es immer wärmer – nicht nur äußerlich. Der Puls und so ziemlich alles andere steigen – dann sind die Kleidungsstücke nur noch im Weg. Der Lehrer verliert fast die Übersicht, aber ein Restwarnsystem sagt ihm, dass es ihm, wenn man ihn hier erwischt mit Fräulein Backhaus, in diesem gehobenen Zustand, unverheiratet und kurz vor der Verbeamtung, nicht gut ergehen könnte. Immer wieder hebt der Lehrer deshalb kurz den Kopf über das Gras, um die Lage zu sondieren – genau diese Vorsichtsmaßnahme wurde von Heinrich Nummer 3 beobachtet, aber wegen der kurzen Intervalle nicht eingeordnet.

In der Mulde kommen sich Lehrer und Fräulein Backhaus immer näher – viel näher – näher geht´s jetzt aber nimmer!

Doch.

 

Ganz in der Nähe, oberhalb der Mulde, wo die beiden Turteltäubchen sich maximal unkeusch näher kommen, am Beginn des besagten Wäldchens, von Strauchwerk leicht verdeckt, erklimmt just in diesem Augenblick der Jagdpächter seinen Hochsitz. Sein prüfender Rundumblick erfasst in Sekundenschnelle die Mulden-situation. Gewohnt an die Rammel-, Brunft-, Hitze- und auch die sonstigen Zeiten seiner wilden Viecher, beobachtet er hocherfreut und lustvoll – Waidmann bleibt Waidmann – das Treiben in der Senke bis zu einem sehr exakten Zeitpunkt. Er schaut – holt Luft – wartet noch eine Sekunde und brüllt dann aus vollem Hals:

 

"Peng!!! Sprach die Jungfrau – und da war sie keine mehr!"

 

Die Kenner eines solchen Vorgangs wissen natürlich, dass nach dem "Peng" das hundert-Sekunden-Durchhaltevermögen des Lehrers bezüglich des Höhepunktes unterschritten wurde.

In unserem Fall ist wegen des mit hoher Geschwindigkeit vollzogenen Vollzugs die knallharte Antwort der deutlich frustrierten ehemaligen Jungfrau:

"Isch schpresche hiechr vonn ainem Flobb, verbibbsch nochemal, Du bist miede, un isch bin kläbrisch."

Sie begreift, dass sie die letzte Hürde – oder was immer das auch war – zu einem geregelten Frauenleben genommen hatte. Wurde auch Zeit!

 

Auf dem Heimweg (fast schon in der Dunkelheit) ist Fräulein Backhaus die längste Zeit Fräulein gewesen, was aber keinen Menschen was angeht. Sie lässt sich aber ab sofort ganz stolz nur noch mit "Frau" anreden – was aber nur einige wenige im Dorf in gedämpftes Erstaunen versetzt.

 

Aus einiger Entfernung frühabends auf ihrem Heimweg sehen der Lehrer und Frau Backhaus weiter oben an den Zäunen die Ansammlung leicht bis schwer betrunkener Mitbewohner und wundern sich, warum man sich gerade am Zaun von Heinrich Nummer 3  getroffen hat. Die beiden schütteln die Köpfe: Wie kann man nur – und das mitten unter der Woche.

 

Fazit: Aus einem kleinen, harmlosen und völlig unwichtigen Anlass ergab sich ein wunderschöner, sehr feuchter Nachmittag mit einem fröhlichen Abend. Es war also die verlorene Unschuld des ehemaligen Fräulein Backhaus, welche diese nette Geschichte erst entstehen ließ.

So sinnse, die Hesse!

 

Nachtrag: Der Ortsvorsteher des Dorfes ist auch gleichzeitig einer der ältesten Einwohner des Dorfes, ein weiser und verständnisvoller Mann. Auf die Frage einer Reporterin vom Kreisblatt zu seinem fünfundachtzigsten Geburtstag, was denn so seine größten Beschwerden seien, antwortet er leicht wehmütig mit einem Blick in die hügelige Landschaft, dann zu ihrer absolut attraktiven Erscheinung:

„Kannisch dä saache, Mädschje: Hart is hart, unn weisch is weisch. Awwer dauernd weisch is aach hart.“

 

 

Ende der Vorschau. Hoffentlich hatten Sie so viel Spass beim Lesen wie ich beim Schreiben.

Die Menschen in diesem Roman lebten tatsächlich. Allerdings teil-weise unter ihrem richtigen Namen. Da noch viele Nachkommen leben, riet mir ein Jurist, Pseudonyme zu verwenden - die hätten eventuell das Buch gratis haben wollen.....oder so.

Meine Mutter war eine "Dokumenten-Messie" würde man heute sagen. Sie konnte einfach kein Dokument wegwerfen, man hätte es ja noch brauchen können. Wie Recht sie hatte! 

Vielen herzlichen Dank, Mama - wo immer du auch bist. Du hättest in diesem Jahr Deinen einhundertundachten Geburtstag!